Freunde und Helfer

Wieder mal Nachtschicht – Küstenpatrouille im Norden, wieder mal ruhig. Obwohl es eine ruhige, sternklare Nacht ist, kommen kaum Boote – im Norden gar keine.
Es gibt ein kleines Übergangscamp am Hafen, das wir ebenfalls regelmäßig überprüfen. Auch dort ist es ruhig, als wir um 2 Uhr morgens nach dem Rechten sehen. Doch auf der anderen Straßenseite, vor der Polizeistation, sehen wir eine Menschentraube!
Dicht aneinander gedrängt vor der Glashütten steht da eine Gruppe von etwa 15 Syrern – völlig durchnässt und noch in Schwimmwesten. Männer, Frauen und 5 oder 6 Mädchen im Alter von Eins bis 12 – die Mädchen begrüßen mich mit Wangenbussi ♥

Als ich mich nähere, steckt ein Polizist den Kopf zur Tür raus und erklärt mir, man vermute den Schlepper unter den Männern und wolle ihn finden – anscheinend werden die Männer verhört. Später höre ich von einem Schiffbruch, offenbar hat die Polizei die Gruppe aufgelesen.
Jedenfalls war keiner von unseren Volunteers bei ihnen! Um die nassen, frierenden Frauen und Kinder kümmert sich niemand. Immerhin erlaubt mir der Polizist, der Gruppe (nein: explizit den Frauen und Kindern!) trockene Sachen zu geben.
Ich telefoniere eilig Verena herbei, die in der Kleiderkammer im Registrierungscamp geblieben war, bei mir ist noch ein neuer Freiwilliger, der das erste Mal mit auf Patrouille ist. Gemeinsam gelingt es uns, den Kindern und einigen der Frauen trockene Sachen zu geben – natürlich auf dem windigen Platz vor der Polizeistation. Wir sind noch nicht fertig, als die Gruppe in den Polizeibus gescheucht wird, der die Gruppe ins Registrierungscamp bringt. Wir stören offensichtlich den Betriebsablauf und werden allenfalls geduldet. Erstaunlich ist, wie ruhig, würdevoll und kooperativ die Flüchtlinge in der ganzen Situation bleiben – während in mir der Zorn aufsteigt!
Später im Registrierungscamp können wir weitere Kleider ausgeben – von dem Wenigen, was da ist. Ich schäme mich, dass wir nicht einmal Schuhe für alle Frauen haben. Eine Mutter müssen wir mit über die Socken gestülpten Plastikbeuteln ziehen lassen.
Bei dieser Gelegenheit merken wir erst, wie elend es den Kindern nach der Überfahrt geht und können etwas davon ahnen, was sie schon erlebt haben.
Einer der Freiwilligen fragt eine Mutter, wo denn der Väter der Kinder sei.
„Dead“, tot, ruft ein etwa 13-jähriges Mädchen.

Demnächst wird Frontex vor der Küste patrouillieren. Alle Aufgegriffenen sollen zur Polizeiwache gebracht werden. Wir versuchen, zu erreichen, dass sie wenigstens jemandem Bescheid sagen, damit die Freiwilligen sich um die Menschen kümmern können.
Von Frontex können wir das wohl nicht erwarten. Schließlich ist das eine Grenzschutzagentur und keine Menschenschutzagentur.
Ja, ich bin immer noch wütend. Und das möchte ich auch bleiben.


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Kommentare

2 Antworten zu „Freunde und Helfer“

  1. Avatar von Hacer
    Hacer

    Nach diesem Bericht bin ich echt glücklich, weil wir hier „drüben“ sehr gut mit der gendarmarie und Küsten Wache kooperieren können. Für die Soldaten ist es hier am wichtigsten die Menschen lebend und gesund aus dem Wasser zu bekommen. Und oft genug sagen die uns „was würden wir ohne euch machen?“….

  2. […] ein geräumter Platz, an der Seite ein Frontex-Bürocontainer. Erinnerungen und Emotionen vor der Polizeistation. Ich fühle mich zurückversetzt, gleichzeitig ist vieles anders, und man spürt schon um 6 Uhr […]

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