Grenzenlose Offenheit?

Ich fürchte, mit seiner Forderung kommt der Herr Ministerpräsident ungefähr acht Jahre zu spät. Da gab es vielleicht für ein paar Wochen eine „grenzenlose Offenheit“ – heute gibt es die nur noch für Menschen aus der Ukraine (oder soll deren Zuzug auch begrenzt werden?)

Ansonsten empfehle ich ihm, sich einmal umzuhören zum Thema „grenzenlose Offenheit“.

  • Zum Beispiel bei dem mir bekannten Afghanen, der mit seiner Familie fliehen musste, weil er als Übersetzer für die Bundeswehr gearbeitet hatte – leider vor dem Stichtag 2013. Gilt also nicht.
  • Oder bei den Ehefrauen, deren Männer nach Deutschland vorausgegangen waren und nun sogar ein Recht auf Familienzusammenführung erwirkt hatten – die aber über viele Monate keinen Termin im deutschen Konsulat erhielten und sich schließlich, weil die Bedrohung vor Ort immer weiter stieg, doch über Ägäis und Balkan auf den Weg machten mithilfe von Schleppern – also „Illegale“ trotz Rechtsanspruch.1
  • Oder bei den Menschen in der Türkei, die bei illegalen Pushbacks mit dem Leben davon gekommen sind, denen aber griechische Polizei sämtliches Bargeld, Papiere, Telefon abgenommen hatte.
  • Oder bei denjenigen, die von der Polizei in Tunesien oder Algerien („sichere Herkunftsländer“ laut MP Rhein) ohne Wasser in der Wüste nahe der Südgrenze ausgesetzt wurden.
  • Oder bei denen, die nach „Pullbacks“ durch die (EU-finanzierte) libysche „Küstenwache“ auf dem Sklavenmarkt verkauft wurden.
  • Er könnte sich bei den vielen Somaliern erkundigen, die vor Al Shabab und Klimawandelfolgen fliehen, ob es wirklich das neue deutsche Staatsangehörigkeitsrecht ist, das sie zum Aufbruch bringt.
  • Oder bei verfolgten Christen aus den von ihm genannten „sicheren Herkunftsstaaten“ Algerien, Marokko, Tunesien und Indien (Plätze 19, 29, 36 und 11 auf dem Weltverfolgungsindex von Open Doors), ob es wirklich die „immer neuen Lockungen“ der Ampel-Regierung sind, die sie motivieren.

Dummerweise kann er sich bei vielen dieser Mitmenschen nicht mehr erkundigen. Weil sie längst auf dem Grund des Mittelmeeres liegen.

Oder in der algerischen Wüste. Oder in Arbeitskolonnen oder in Zwangsprostitution gelandet sind.

Das muss diese „grenzenlose Offenheit“ sein, von der immer alle reden.

  1. Ich erinnere mich an eine Fernsehdokumentation 2015 oder 2016, in der eine solche Geschichte exemplarisch geschildert wurde, finde aber keine Quelle mehr. Vater und Sohn hatten es nach Deutschland geschafft, ihre Ehefrauen warteten in Irakisch-Kurdistan auf die Papiere. Als sie es dort nicht mehr aushielten, machten sie sich selbst auf die gefährliche Reise, wurden u.a. von griechischen Polizisten am Evros verprügelt. Als sie es schließlich nach Deutschland geschafft hatten, durften sie nicht bei ihren Ehemännern in die längst fertige Wohnung einziehen (ich glaube, in Schleswig-Holstein), sondern wurden einer Flüchtlingsunterkunft in Sachsen zugewiesen. ↩︎

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