„To accept the things I cannot change …“?

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Irgendwer hat in unserem Warehouse ein Poster mit diesem „Serenity Prayer“ des amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr aufgehängt (und irgendein Scherzkeks hat den letzten Teil „…and wisdom to know the difference“ mit Filzstift ergänzt: „…between Mars and Snickers“). Für mich so ein Standardspruch, den ich gar nicht mehr richtig wahrnehme …

… bis eine unserer Langzeit-Volunteers vor ein paar Tagen das Poster kommentierte: „Früher fand ich diesen Spruch richtig gut – inzwischen hasse ich ihn! Ich will die Dinge nicht hinnehmen!“

Das waren nicht die Worte eines trotzigen Teenagers, hier sprach eine Frau, die ihr ganzes bisheriges Leben für die Schwächsten eingesetzt hat, in ihrer schottischen Heimat, in Ruanda nach dem Genozid und über ein Jahr auf Chios – to name a few. Ich meine, jemand, der etwas zu sagen hat.

Also, wer hat recht? Reinhold aus Missouri oder Frances aus Schottland? Beide natürlich.

Niemand ist gezwungen, immer wieder gegen die gleiche Tür – oder Wand – anzurennen. „Hinnehmen, was ich nicht ändern kann“, kann heißen: Ich gebe mich nicht dem pubertären Zorn darüber hin, dass die Welt so ist, wie sie ist – und nicht, wie ich sie gerne hätte. Menschen, Kulturen, Ideen sind verschieden. Die Welt ist komplex. Ignoranz und Ungerechtigkeit, Dummheit und Bosheit sind real und werden nicht verschwinden, bis der Herr wiederkommt. Und mein Einflussbereich ist begrenzt: Die Geflüchteten auf Chios sind Opfer von Krieg und Elend in ihrer Heimat, sie sind Opfer skrupelloser Schlepper, sie sind Opfer einer zutiefst ungerechten und erniedrigenden Abschottungspolitik. Und wir Volunteers bringen Tee und freuen uns, wenn wir genug Hosen in der richtigen Größe zum Verteilen haben. Das kann einen schon in den Wahnsinn treiben oder wenigstens in den Abgrund des Sarkasmus. Das „Serenity Prayer“ kann ein Schutz dagegen sein. Es kann uns auch davor bewahren, dass uns das Elend der Welt so sehr lähmt, dass wir den vermeintlich kleinen Beitrag versäumen, den wir tatsächlich leisten können.

Aber das alles brauche ich eigentlich einer Frau nicht zu erklären, die in Ruanda gearbeitet hat. Ich glaube, es geht um etwas anderes:

„Akzeptieren“ heißt recht verstanden wohl: Ich lasse mich vom Status Quo nicht zerstören. Ich lasse mich nicht lähmen. Die andere Gefahr besteht aber darin, dass ich mich an den Status Quo gewöhne, denn „das ist eben so“. In einer Predigt habe ich neulich davor gewarnt, unseren erlebten Durchschnitt mit der „Normalität“ zu verwechseln. Wenn Leute von „normal“ reden, müssen wir sofort fragen: nach welcher Norm? Und sind wir bereit, diese Norm zu akzeptieren? Der Weg, den Flüchtlinge nach Europa nehmen müssen, ist lwbensgefährlich – das ist im Durchschnitt so, aber ich weigere mich, das als normal anzusehen.

Kürzlich wurde ich gefragt, wie sich mein Denken und Glauben durch meine Einsätze auf Chios geändert hat. Was habe ich gelernt? Meine Antwort: Schmerz und Zorn über Elend und Umgerechtigkeit. Vorher war ich wohl nicht ignorant, aber ziemlich abgeklärt: Die Welt ist eben so, bis Jesus kommt, Gefallene Schöpfung, Sünder allzumal. Da ist so, aber Gott hat mit Tränen darüber geschenkt. Eine Unruhe, die in diesem Sinn eben nicht akzeptiert. Die den Status Quo als aktuellen Stand zur Kenntnis nimmt, aber nicht bereit ist, dabei stehen zu bleiben.

Und ich sehe mich damit in ganz guter Gesellschaft. Da ist nicht nur Frances, meine schottische Teamkollegin. Da ist auch mein Herr, der über die harten Herzen weinte, auf die er in seiner Stadt Jerusalem stieß. Obwohl er nun wirklich keine Illusionen über seine Mitmenschen hatte.

In diesem Sinn mache ich weiter. Mit Entschlossenheit. Und Im Gedenken an William Booth, den Gründer der Heilsarmee. Als ein Mitarbeiter ihm klagte, die Arbeit seit über schwer und far nicht zu schaffen, soll er geantwortet haben: „Versuchen Sie’s mit Tränen.“

Ein letzter Gedanke: „Die Dinge, die ich nicht ändern kann“ – woher weiß ich, welche das sind? Gerade lese ich die Biografie von William Wilberforce, der im Britischen Weltreich die Abschaffung des Sklavenhandels durchsetzte. Als er seinen Kampf begann, wurde er ausgelacht, als wollte er den Nebel in England abschaffen. Dreißig Jahre lang kassierte er eine Niederlage nach der anderen.

Gott sei Dank akzeptierte er die Dinge nicht, die er lange nicht ändern konnte.

Woher weiß ich den Unterschied? Dafür brauche ich dann wohl Weisheit …


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