Gutmenschen. Gute Menschen?

Jetzt ist es wohl so weit. Ich weiß nicht genau, wie es dazu kommen konnte, aber ich schätze, dass ich nun für viele endgültig tief in der „Gutmenschen“-Schublade stecke.

Ich hätte es kommen sehen können – schon vor ein paar Monaten, als in der Lokalzeitung ein Text von mir zum Thema „Flüchtlinge“ und „Nächstenliebe“ erschien, warf mir ein – erstaunlicherweise nicht anonymer – Briefeschreiber aus unserem Städtchen Hass gegen Deutschland vor. Begründung: Mit meinem Willkommen für Flüchtlinge würde ich die Zerstörung unseres Volkes betreiben (der Brief endete übrigens im reinen Faschismus: Menschenrechte seien abzulehnen, da sie das Individuum über die Volksgemeinschaft stellten…).

Also. Jetzt bin ich wohl einer von denen. Obwohl ich mir noch kein Claudia-Roth-Poster aufgehängt habe …

… aber mal im Ernst: Wie ist das mit den guten Menschen? „Das hat mir den Glauben an die Menschheit zurück gegeben“, schrieb mir eine andere Freiwillige nach ihrem Chios-Einsatz.

Vielleicht bin ich noch nicht lange genug Gutmensch, aber damit tue ich mich etwas schwer. Der Mensch ist an sich gut, nur manchmal von der Gesellschaft verdorben? Die Botschaft hör ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube. Besteht die Gesellschaft nicht eigentlich auch aus Menschen? Bei all dem Elend und der Ungerechtigkeit dieser Welt an einen guten Gott glauben, fällt mir (erstaunlicherweise?) nicht so schwer. Daran glauben, dass „der Mensch“ gut ist? Unmöglich.

Auf meiner Reise in Chios – und eigentlich mein ganzes Leben – wurde ich mit beidem konfrontiert: mit dem schlechtesten, was die Menschheit zu bieten hat und mit dem besten. Ich bin erschüttert über die Verkommenheit, mit der manche Menschen das Elend anderer Menschen noch ausnutzen, und ich staune über die Liebe, mit der sich andere Menschen (einige davon würde unsere Gesellschaft schnell abschreiben) für andere Menschen aufreiben, die sie nicht kennen und nie kennen werden.

Schrecken und Schönheit – den Bibelleser kann das eigentlich nicht wundern. Schon auf den ersten Seiten der Bibel lesen wir vom Bruch von Beziehungen, von Entfremdung – zwischen Mensch und Gott, Mann und Frau, Bruder und Bruder und immer so weiter -, von Angst, Hass, Scham, von Mord und Totschlag. Der Mensch wird des Menschen Wolf, wie die Römer sagten.

Aber wir lesen eben auch: Der Mensch ist „im Bilde Gottes“ geschaffen, als sein Gegenüber. Selbst wenn es durch Sünde und Entfremdung verzerrt und verborgen ist: In ihm ist etwas von seinem Schöpfer zu erkennen, und zwar nicht erst, wenn er an diesen Schöpfer glaubt.

Deshalb ist die erstaunliche Großherzigkeit und Großzügigkeit, die ich bei den unterschiedlichsten Menschen erlebt habe, nicht ein Hinweis, dass der Mensch das schon alleine hinkriegt und Gott nicht braucht – sondern ein Hoffnungszeichen, dass Gott immer noch am Werk ist und diese Menschheit längst noch nicht aufgegeben hat.

Der Gott, der zum Propheten Micha gesagt hat (6,8):

Man hat dir gesagt, Mensch, was gut ist,
und was Jahwe von dir erwartet:
Du musst nur das Rechte tun,
anderen mit Güte begegnen
und einsichtig gehen mit deinem Gott.

Dann ist es gut, Mensch.


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