Überall Schwimmwesten. Einer der ersten Eindrücke, als wir die Küste abfuhren: Überall liegen leuchtend-orange Schwimmwesten. Sie dienen damit als Wegmarke: Hier ist ein Boot gelandet; Achtung – hier könnten wieder Boote ankommen! Auch von der Seeseite aus können wir annehmen, dass die Schwimmwesten so als Wegmarke dienen.
Das ist aber auch der einzige positive Nutzen dieser Dinger. Ansonsten dienen sie mir als Erinnerung, welches Potenzial zum Bösen im Menschen steckt. Nicht genug, dass Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen.
Nicht genug, dass die Staatengemeinschaft sie in den Lagern im Libanon, Jordanien, Irak im Stich lässt oder nach Afghanistan sogar wieder abschieben will. Nicht genug, dass es auch für die verletzlichsten Kriegsflüchtlinge (Alte, Schwangere, Kinder …) keinen sicheren und legalen Weg in die Sicherheit gibt. Nicht genug, dass diese geschundenen Menschen Tausende von Euros, die besser in den Aufbau eines neuen Lebens investiert wären, für skrupellose Schlepper aufbringen müssen, die sich – pardon – einen Scheißdreck darum kümmern, ob ihre „Kunden“ lebend ankommen oder nicht.
Am 6. Januar wurde gemeldet, dass die türkische Polizei in einer Werkstatt in Izmir über 1200 Schwimmwesten beschlagnahmt habe. Die billig produzierten Westen sind nicht mit Styropor oder ähnlichem gefüllt, sondern mit Schaumstoff, der sich sofort mit Wasser vollsaugt und den Träger in die Tiefe zieht. Einmal haben wir eine solche Weste am Strand gefunden – sie war bleischwer und kaum zu bewegen. Jetzt stell dir vor, du hättest diese Weste dir (als Nichtschwimmer) oder deinem Kind angezogen, für eine mehrstündige Reise im Schlauchboot übers Mittelmeer (übrigens tragen die meisten Kinder Erwachsenen-Größen – was ebenfalls eine Todesfalle sein kann).
Wem das immer noch nicht böse genug ist: In der Schwimmwesten-Werkstatt arbeiteten zwei syrische Flüchtlingskinder, schwarz natürlich. Vermutlich, um sich das Geld für die Überfahrt zu verdienen. In „ihren“ Todeswesten.
Bei aller Empörung über diese Krisengewinnler trifft Liya aus London, die mit mir auf Chios war, genau ins Schwarze, wenn sie schreibt:
We’ve known for some time now that many of the lifejackets used by refugees to make the journey from Turkey to Greece are fake, and it is an absolute travesty that 30 people needed to drown before Turkish police took action.
The real outrage however is that the European community is doing nothing to give them safe passage. Whether lifejackets are buoyant or not, the risk to life when making these boat crossings is unacceptable and wholly avoidable.
How many more lives must be lost before something is done?
Der wahre Skandal liegt in der Tatsache, dass die Europäische Union nichts tut, um sichere Fluchtwege zu schaffen. Die Lebensgefahr der Bootsüberfahrt ist inakzeptabel und völlig vermeidbar.
PS: Es gibt noch einen positiven Aspekt – dank der findigen Volunteers: Ellie aus England schneidet die dünnen Rückenteile aus den Westen (ihr Kommentar: „Als Schwimmlehrerin würde ich diese Westen nicht mal als Schwimmhilfe für Kinder im Hallenbad benutzen.“) – die leisten uns seitdem gute Dienste als Unterlage: Zum Sockenwechseln am Strand, um Kinder darauf umzuziehen usw.
Findige Volunteers auf Lesbos haben mehrere Schwimmwesten zusammengenäht, um Notfallmatten für unterkühlte Flüchtlinge zu erstellen.
Und die Forschung, was man mit diesen Dingern noch alles anstellen kann, geht weiter 😉
Gerade fällt mir noch ein: Ein Kind kam im Boot an und trug Schwimmflügel. Halb aufgepustet.
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